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Unsichtbar und dennoch da

Früher bin ich viel mit dem Fahrrad zu meiner damaligen Arbeitsstelle gefahren. Der Weg führte größtenteils an grünen Wiesen, gold-gelben Feldern, plätschernden Bächen und ruhigen Seen vorbei. Teilweise war ich auf holprigen Feldwegen unterwegs, dann wieder auf viel befahrenen Landstraßen. Ich sah allerlei Tiere: grasende Pferde und flüchtende Rehe, imposante Greifvögel und vorlaute Spatzen, bedächtige Reiher und manchmal sogar einen wahnsinnig flinken, kleinen Eisvogel mit seinem strahlend blauen Federkleid.

Ganz selten stieß ich auch auf eine wandernde Schafherde. Die Schafe verteilten sich dabei meistens auf einer Wiese entlang eines kleinen Bachlaufs. Dort drängelten sie an der steilen Böschung, weil jedes Schaf trinken wollte. Es war ein endloses Schubsen, Blöken und Rascheln im auf dem Boden liegenden Laub. Da der Bach vom Rest der Wiese durch eine Reihe Bäume und stellenweise dichtes Gebüsch abgetrennt war, sah ich immer nur einen kleinen Teil der Herde. Der Rest ließ sich auf der Wiese dahinter erahnen und war nicht zu überhören.

Zur Vervollständigung dieser Idylle fehlte eigentlich immer nur einer: der Hirte. Obwohl ich mehrmals auf die Herde traf, habe ich nie den Hirten gesehen. Der war vermutlich irgendwo auf der Wiese hinter den Bäumen und passte auf den leichter zu überschauenden Teil seines wolligen Gefolges auf. Offensichtlich hatte er vollstes Vertrauen, dass seine Schafe vom Trinken auch wieder zurück zum größeren Teil der Herde kämen.

Dieses Schauspiel wiederholte sich alle paar Monate. Die Herde kam also vermutlich relativ weit herum, immer auf der Suche nach der nächsten saftigen Wiese und einer Möglichkeit, ein paar Schlucke kühles Wasser zu trinken.

Jesus selbst hat einmal eine Geschichte erzählt, in welcher der Hirte seine große Herde allein ließ, um ein verirrtes Schaf zu suchen. Als er es gefunden hatte, brachte er es zur geduldig wartenden Herde zurück. Diese Erzählung verglich Jesus mit dem Himmelreich: Gott sucht uns, wenn wir uns mal von ihm entfernen, und er freut sich, wenn wir zu ihm zurückkommen – selbst dann, wenn er uns den Weg zu sich immer wieder neu zeigen muss.

Manchmal muss ich mir in Erinnerung rufen, dass auch ich ein „Schaf“ in Gottes großer Herde bin. Egal was ich mache, sei es Rad fahren, arbeiten, schlafen oder essen, er passt als guter Hirte auf mich auf. Wie ein Schaf immer wieder zurück zum Hirten kommt, so zeige auch ich Gott durch mein Gebet, dass ich noch da bin. Dabei lasse ich mir den Weg neu zeigen und wandere dann weiter.

Wenn ich mich mal verlaufe, hilft mir Gott, zurück auf seinen Weg zu finden. Manchmal sofort, manchmal aber auch erst später. Das habe ich schon oft erlebt, aber erst mit zeitlichem Abstand überhaupt realisiert.

Mit diesem Wissen kann ich ganz gelassen in für mich neue, unbekannte Situationen hinein gehen, auch wenn sie mir vielleicht Angst machen. Denn der gute Hirte passt nicht nur auf mich, sondern auch auf alle anderen Schafe auf, die schubsend, blökend und raschelnd durch diese Welt laufen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin „miteinander.leben“ der Diakonie Himmelsthür, Ausgabe 37, Juni 2017.

Veröffentlicht in Glaubensimpulse

Bildquellen

  • Schafherde: Unsplash / Pixabay.com

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